Nord-Ost-Estland

Von Tallin kommend fahren wir ostwärts und kommen zunächst an zwei Wasserfällen und einer Burgruine vorbei.

Der Jägala-Wasserfall befindet sich am Unterlauf des Jägala-Flusses ca. 25 km östlich von Tallinn. Er liegt etwa 3 km vor seiner Mündung in die Ostsee. Das vom Moor braun gefärbte Wasser fällt zwischen 7,8 und 8,1 m tief auf einer Breite von ca. 50 m. Durch die Kraft des Wassers wird die Kante aus Kalkstein  jedes Jahr um etwa 3 cm abgebrochen. 

Die Burg Rakvere (Burg Wesenberg) ist eine bedeutende Burgruine auf dem Stadtgebiet von Rakvere.
Bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts erbauten die Dänen die ersten steinernen Gebäude auf dem Burgberg. Sie hatten die Form eines Kastells und waren von ausgedehnten hölzernen Palisaden umgeben. 1267 wurde die Burg erstmals in russischen Quellen als Rakovor erwähnt. 

Unweit der Burgruine ist die Statue des Auerochsen kaum zu übersehen. Die Skulptur wurde im Jahr 2002 zum 700. Jubiläum der Stadt Rakvere enthüllt. Der Auerochse ist 7 m lang, 4 m hoch und wiegt 7 Tonnen. Er steht auf einer Grundlage aus Granit, vorne das Wappen von Rakvere, an den Seiten die kurze Geschichte der Stadt in estnischer, schwedischer, deutscher, dänischer, polnischer und russischer Sprache und die Namen der Unterstützer der Statue.

Statue des Auerochsen

Im weiteren Verlauf Richtung Osten passieren wir den Valaste-Wasserfall, der mit 30,5 m der höchste Wasserfall Estlands ist. Unweit des Ostsee­strandes stürzt das moor-braune Wasser eines vor rund 200 Jahren angelegten Entwässerungsgrabens über den steil abfallenden Nordrand des Kalksteinplateaus und vermischt sich eindrucksvoll mit dem klaren Wasser der Ostsee. Uns haben auch die farbenfrohen Schichten der Abbruchkante beeindruckt.

Das Moorwasser am Ostseestrand.

Einen Übernachtungsplatz finden wir Karfreitag am nordöstlichsten Zipfel des estnischen Peipussees, an der Quelle der Narva unterhalb des Klosters von Vasknarva.
Zusammen mit der Narva, seinem Abfluss zur Ostsee, bildet der Peipussee fast die gesamte östliche Staatsgrenze Estlands zur Russischen Föderation und ist damit seit dem 1. Mai 2004 auch Teil der Außengrenze der Europäischen Union. 
Mit 3555 km² ist er ungefähr siebenmal so groß wie der Bodensee und steht unter den größten Seen Europas an fünfter Stelle.

Kloster von Vasknarva
Blick über die Narva, auf der gegenüberliegenden Uferseite weht die Russische Fahne.

Der Peipussee ist durchschnittlich nur 8 m tief; die tiefste Stelle befindet sich mit fast 15 m im südlichen Teil, auch Pleskauer See genannt. Dank der geringen Tiefe erwärmt er sich im Sommer auf bis zu 22 °C. Im Winter friert der Peipussee meist zu. Die Eisdecke kann im März maximal 50 bis 60 cm dick werden und hält sich auf dem nördlichen Teil am längsten.

Wir finden weiter südlich am Peipussee einen ruhigen Platz als Osterquartier.

Grille hinter der Düne im Wald
Osterquartier
Die Düne wandert. Sie hat schon große Teile des Wurzelwerks dieser Kiefer freigelegt.
Der Strand, etwas weiter hinten sieht man aufgetürmte Eisberge, wir schätzen die Höhe auf 4-6 Meter.
Ein Fuchs traut sich auf’s dünne Eis. Er fischt!
….zusammen mit der Rabenkrähe.
Strand von Kauksi
uns hat es hier gefallen.

Die Zwiebelroute

seit Mitte des 17. Jahrhunderts leben am Westufer des Peipussees die sogenannten Zwiebelrussen zu Tausenden in kilometerlangen Straßendörfern. Sie leben weitgehend vom Fischfang und Gemüseanbau. Neben den Zwiebeln, die bei ihnen besonders süß und gesund sein sollen, bauen sie auch Knoblauch, Gurken und allerlei anderes Gemüse an.

Die Zwiebelrussen sind Altgläubige, keine Orthodoxen. Sie kamen 1653 bis 1656 als russische Glaubensflüchtlinge aus der Gegend um Nowgorod und Pskow, als ihre Bärte, Merkmal ihrer konservativen Haltung, besteuert werden sollten. An ihren festen und mitunter sogar sehr strengen Lebensregeln hat sich in den vergangenen Jahrhunderten kaum etwas geändert. Es ist eine Frage des Respekts, im Dorf nicht zu rauchen und als weiblicher Gast den Altgläubigen nicht ohne Kopftuch zu begegnen. Besonders die Mädchen wurden sehr streng erzogen. Sie durften weder laut sprechen noch schnell laufen und hatten unterwürfiger als die Jungen zu sein. Wie lange sich diese Frauenfeindliche Tradition wohl noch halten wird?

Die Häuser der Zwiebelrussen sind meist sehr ärmlich, alte Häuser unrenoviert, mal etwas hier und da angebaut, neue Häuser nur gemauert, nicht verputzt, eine heillose Kottenwirschaft, wie wir finden. Hier ist die Zeit augenscheinlich seit vielen vielen Jahren stehen geblieben.

Wir kaufen Zwiebeln, etwas Gemüse und geräucherten Fisch. Alles für sehr wenig Geld. Als wir beim Bezahlen auf den nächsthöheren Euro-Betrag aufrunden wollen, ernten wir betretene Gesichter und das Trinkgeld wird vehement abgelehnt. Vermutlich haben wir etwas unschickliches gemacht?

Die Friedhöfe sind ausnahmslos am Ufer des Peipussees angelegt, die Gräber alle in Richtung des Sees ausgerichtet, ob das Zufall oder Absicht ist, konnten wir nicht in Erfahrung bringen.

Die Nacht verbringen wir in Tartu, der zweitgrößten Stadt Estlands.
Morgen wollen wir hier ein Spa besuchen.

Haus im Dorf der Zwiebelrussen
Haus im Dorf der Zwiebelrussen
Haus im Dorf der Zwiebelrussen
… auch mal ein chicer Neubau, sogar verputzt und gestrichen, daneben jedoch ein Neubau nur gemauert, unverputzt und unverklinkert.
… es schien im Hinterhaus noch jemand zu wohnen.
Haus im Dorf der Zwiebelrussen
Eingang zum Friedhof
Friedhof am Ufer
sehr schön angelegt.
ein weiteres Dorf der Zwiebelrussen
Der Großvater der Grille
in den Gärten wird schon tatkräftig gearbeitet
Haus ist durchaus noch bewohnt!
In einem Supermarkt wollten wir etwas für’s Abendessen einkaufen, hier sind Schweinsköpfe, Schweinspfoten, Zungen und Gedärm im Angebot, wir haben verzichtet. Es gibt heute Pellkartoffeln mit Gemüse und/oder Salat.
….. was es bei den Zwiebelrussen an jeder Ecke zu kaufen gibt.
Eine Brücke über den Emajõgi führt uns nach Tartu zurück in die Zivilisation.
Unterhalb des Wissenschaftszentrums AHHAA, dem größten im Baltikum beziehen wir heute Quartier.

Rīga

Wir verlassen Estland in Richtung Lettland. Auf dem Weg nach Riga übernachten wir an dem alten Gutshof Ungurmuiza, auch bekannt als Gut Orellen in Lettland. 1732 begann der russische Generalmajor Balthasar Campenhausen mit dem Bau des Herrenhauses im Barockstil, das nach und nach um verschiedene Gutsgebäude ergänzt wurde. Heute existiert im Herrenhaus ein Museum, auch weitere Nebengebäude werden touristisch genutzt.

Auf dem Weg nach Riga, wie auch auf dem Gut Ungurmuiza dürfen wir in jeder noch so kleinen Ansiedlung die klappernden Störche beobachten.

Riga ist die Hauptstadt Lettlands und mit rund 630.000 Einwohnern die größte Stadt des Baltikums. Zugleich bildet es mit etwa einer Million Einwohnern den größten Ballungsraum in den drei baltischen Staaten. Riga ist das politische, wirtschaftliche und kulturelle Zentrum des Landes. Die alte Hansestadt ist berühmt für ihre Jugendstilbauten und ihre großzügige Anlage sowie für die gut erhaltene Innenstadt, darunter besonders die Altstadt.

wir besuchen die Geburtskathedrale der Russisch-Orthodoxen Kirche. Sie ist die größte orthodoxe Kirche der baltischen Staaten. Während der Besetzung im Ersten Weltkrieg wurde die Kirche in eine protestantische Kirche umgewandelt, doch bereits nach der lettischen Unabhängigkeit wurde sie 1921 wieder orthodox. 1963 wurde die Geburtskathedrale von den sowjetischen Behörden in ein Planetarium umgewandelt und in „Haus des Wissens“ umbenannt. Bald nach Wiedererlangung der Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1991 wurde die Kirche grundlegend saniert (bis 2006). Bereits 1992 wurde sie als Kathedrale wiedergeweiht.

Die Kirche ist ein Zentralbau mit fünf teilvergoldeten Kuppeln. Sowohl die Kirche, als auch der 43 Meter hohe Glockenturm mit 12 Glocken, sind mit gelben Kacheln verkleidet.

unweit der Kathedrale steht Das Freiheitsdenkmal im Stadtzentrum. Sie ist das Symbol für die nationale Souveränität Lettlands.

Auf einem Sockel steht ein 19 Meter hoher Obelisk, auf dessen Spitze sich die 9 Meter große Allegorie der Freiheit befindet, eine Statue, die die Selbständigkeit Lettlands verkörpert. Die drei Sterne in den Händen der weiblichen Figur symbolisieren die drei historischen Regionen Lettlands – Kurzeme (deutsch: Kurland) , Vidzeme (deutsch: Livland) und Latgale (deutsch: Lettgallen).

Bemerkenswert ist die Ausrichtung des Denkmals: Die Freiheitsgestalt (im Volksmund Milda genannt) blickt – ebenso wie alle selbstbewusst und mit stolzem Ausdruck dargestellten Figuren im Sockel des Denkmals – nach Westen.

Das Denkmal wurde in der Lettischen SSR zwar wegen seines „künstlerischen Werts“ an seinem Platz belassen, jedoch wurde in rund 300 Meter Entfernung vom Freiheitsdenkmal am anderen Ende des Boulevards ein Lenindenkmal errichtet – mit Blick gen Osten.

in einem der zahlreichen Stadtparks entdecken wir diese Installation und fragen uns, ob die Häuser wohl alle besetzt sind?

Die Neustadt von Riga gilt gemeinsam mit entsprechenden Stadtteilen in Wien, Sankt Petersburg, Antwerpen, Prag und Barcelona als sehenswertestes Jugendstilensemble der Welt – nirgendwo sind ähnlich viele Gebäude aus dem frühen 20. Jahrhundert erhalten geblieben. Zu Sowjetzeiten fehlten nicht nur das Geld für eine Renovierung der historischen Gebäude, sondern auch die Mittel zu ihrem Abriss.

Bis 1918 wurde die Neustadt oft „Petersburger Vorstadt“ genannt.

Nach Wiedererlangung der Unabhängigkeit Anfang der 1990er Jahre wurden nahezu alle der opulent verzierten Gebäudefassaden restauriert. Die Neustadt gilt als repräsentative Wohnlage mit entsprechenden Immobilienpreisen. Hier haben sich auch die meisten Botschaften angesiedelt.

…auch mal ein unrenoviertes darunter.

In Riga findet man viele sehr schöne Parks. Sie sind mit Kinderspielplätzen und Bänken ausgestattet. Hier und da findet dort auch Kunst statt.

Drei tanzende Frauen

Über die Parks gelangen wir in die Altstadt.

Der Pulverturm ist ein befestigtes Schießpulverlager aus dem 17. Jahrhundert und Teil der Rigaer Stadtbefestigung.
Dom zu Riga
Domplatz
Domplatz
Straßenansicht. Im Hintergrund der weiße pyramidenförmige Turm der Mater Dolorosa Kirche, eine alte katholische Kirche.
Straßenansicht

Gegenüber des Rathauses steht das Schwarzhäupterhaus.
Es wurde 1334 als das „Neue Haus der Großen Gilde“ erstmals urkundlich erwähnt. Es diente sowohl den Kaufleuten als auch der vorwiegend deutschen Bürgerschaft Rigas für Zusammenkünfte.
Das Schwarzhäupterhaus wurde im Zweiten Weltkrieg von deutschen Truppen bei der Einnahme Rigas zerstört. 1948 wurde die verbliebene Ruine wegen der schweren Beschädigungen, aber auch aus ideologischen Gründen gesprengt.
Die Fläche des Schwarzhäupterhauses wurde in den wesentlich vergrößerten Rathausmarkt einbezogen und blieb bis 1993 unbebaut. In Vorbereitung der 800-Jahr-Feier der Stadt wurde das Gebäude innerhalb von sieben Jahren (1993–1999) originalgetreu rekonstruiert. So wurde die in vergangener Zeit zwischen den Schwarzhäuptern und der Stadt Riga in Anerkennung der jahrhundertealten Beziehungen getroffene „Übereinkunft“ Wirklichkeit:

Schwarzhäupterhaus
gegenüber das Rathaus

Neben der Petri-Kirche findet sich noch eine lustige Skurrilität. Wir dachten schon, wir hätten uns verlaufen, als wir plötzlich die Bremer Stadtmusikanten entdeckten.

Die Skulptur wurde 1990 als Geschenk der Stadt Bremen an die Partnerstadt Riga übergeben und aufgestellt. 

Der Weg heim

Wir wollen diese wunderbare Reise beenden und buchen eine Fährüberfahrt von Liepāja nach Travemünde. Eine kurze Stadtbesichtigung in Liepāja gibt uns abschließend noch ein paar Eindrücke aus der Lettischen Provinz.

Unser Übernachtungsplatz irgendwo im Nirgendwo zwischen Riga und Liepaja.

Liepāja ist mit 76.535 Einwohnern die drittgrößte Stadt Lettlands und beherbergt eine Universität.
Die Kunstgewerbeschule von Liepāja gehört zu den wenigen Ausbildungsstätten weltweit, an denen Wissen über die künstlerische Verarbeitung von Bernstein vermittelt wird. Auch einige der an der Rekonstruktion des Bernsteinzimmers im Katharinenpalast in Puschkin beteiligten Kunsthandwerker und Künstler haben diese Schule besucht.

der Konzertsaal Großer Bernstein, Eröffnung im Oktober 2015
Universität
Gymnasium
Hall of Fame, wir haben niemanden erkannt, was natürlich an unserer Banausen-Mentalität liegt.
Ist das Kunst oder kann das weg?

Der Hafen von Liepāja steht beim Güterumschlag an dritter Stelle der lettischen Häfen (hinter Riga und Ventspils). Im Jahre 2016 wurden in Liepāja 9 % der lettischen Importe und Exporte über See umgeschlagen.

Teil des Hafens

Wir sehen auch viel Armut; Häuser, die Ihrem Verfall überlassen wurden; welche, die trotz ihrer augenscheinlichen Baufälligkeit noch bewohnt werden, verwahrloste Plattenbauten, und einige Orte, da will niemand ‚auch nur Tod über’n Zaun hängen‘.

Ab 1995 erblühte die Wirtschaft wieder. Hauptexportgüter sind Stahlwaren, Möbel und Textilien. Zurzeit gewinnt der Dienstleistungssektor stetig an Bedeutung. Die Strandpromenade wurde neu gestaltet, in Ihrer unmittelbaren Nähe sieht man prächtige Hotels, die Wege sind aufwändig gepflastert, die Strandanlagen und Sanitärbereiche auf den modernsten Stand gehoben.

Strand
Monument für die auf See verunglückten Seeleute und Fischer
Eine Frau mit wehenden Haaren, die in das weite Meer schaut und auf ihre Lieben wartet.
Die Bewohner nennen das Denkmal auch “Windmutter” und bezeichnen damit den Sammel- und Treffpunkt, bevor man gemeinsam an den Strand geht.
unweit der Promenade
altes Holzhaus, es müßte dringend renoviert werden, schade, daß es so langsam verfällt.
hier ist vermutlich nicht mehr viel zu retten. Zumindest der ehemals sicherlich wunderschöne Holz-Vorbau ist völlig morsch.
Straßenansicht nahe Zentrum
Straßenansicht nahe Zentrum

Die M/S Stena Livia bringt uns am nächsten Tag von Liepāja nach Travemünde.
Vor ein paar Jahren waren wir Passagiere auf der Fähre von Ventspils nach Travemünde, und waren entsetzt über den Alkohol-Konsum der Truckerfahrer, die diese Fährverbindung hauptsächlich nutzten. Das Hauptklientel der heutigen Fähre sind nach wie vor LKW-Fahrer. Der Konsum von Alkohol hat sich sehr verbessert, zumindest sind uns keine betrunkenen Fahrer mehr aufgefallen.
Diese Fähre ist ein Transportmittel, mehr nicht.
An Bord findet man keine besonderen Annehmlichkeiten, das Essen ist gewöhnungsbedürftig, die Matratzen ausgelegen.
Der Rücken schmerzt noch immer. Wir haben es überlebt. Der Preis war günstig.

Sonnenuntergang auf der Ostsee
Einfahrt in den Hafen von Travemünde.

Von Travemünde nach Hause fahren wir über Nienburg, weil die Spargelernte dort auf Hochtouren läuft, und wir den Frühling nun auch kulinarisch erfahren wollen.

Jedes der Dörfer ist hier schöner als das andere, die Häuser gepflegt, die Gärten geputzt. Die Strassen in gutem Zustand. Wir sind wieder in Deutschland.

Die besten Nachbarn aller Zeiten haben das Haus gehütet, den Postkasten geleert, die Vögel und Blumen versorgt und Rasen gemäht. Vielen Dank Marcus, Kathrin, Frederik und Elena. Wir sind froh, daß es Euch gibt.

Der Spargel war köstlich!